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Wie viel Egoismus verträgt die Gesellschaft?Wie viel Egoismus braucht die Gesellschaft?

In unserer heutigen Gesellschaft ist jegliche Art von Egoismus verschrien und wird als äußerst negative Charaktereigenschaft angesehen. Stattdessen wird immer mehr Selbstlosigkeit und Selbstaufgabe von den Menschen gefordert. Wenn es um Stress geht, kann man aus einer Vielzahl wissenschaftlicher Definitionen wählen, doch meine persönliche ist folgende:


Bereits das Wort „Egoist“ klingt heutzutage wie eine Beleidigung oder ein Schimpfwort; benutzen wir diesen Begriff doch stets, um eine schlechte und selbstsüchtige Person zu beschreiben. Wir verwenden den Begriff Egoismus synonym mit Selbstsucht, Gleichgültigkeit gegenüber anderen und Mangel an Empathie.


Aber ist Egoismus tatsächlich immer negativ? Oder ist es möglich, dass eine moderate Form des Egoismus sogar von Vorteil für unser geistiges, emotionales und physisches Wohl sein könnte?


Genau diese Fragen sollen im folgenden Text beantwortet und das Konzept des "gesunden Egoismus" untersucht werden.


Was ist ein Egoist? Wie definiert die Gesellschaft einen Egoisten?


Ein „wahrer“ Egoist, also jemand, der zu viel Egoismus besitzt, wird sich und seine Bedürfnisse stets als oberste Priorität sehen, ohne seinen Mitmenschen das gleiche zuzugestehen. Er wird die Hilfe anderer stets in Anspruch nehmen, sie regelrecht einfordern, ohne Wert darauf zu legen, wie es seinen Mitmenschen damit geht, er sieht sich stets im Recht und teilt jedem – auch ungefragt - seine Meinung und Ratschläge mit.


  • In seiner Selbstwahrnehmung ist er der Mittelpunkt des Lebens – für sich und andere!

Wenn Sie einem EGOISTEN folglich versprochen haben, ihm heute bei etwas behilflich zu sein, erwartet er, dass Sie Ihr Wort auch halten – ganz gleich, ob Sie müde oder krank sind oder Ihnen andere Verpflichtungen dazwischengekommen sind. Sagen Sie ihm dennoch ab, wird er Sie dafür verurteilen.


  • Hier offenbart sich ein zweiter Charakterzug eines wahren EGOISTEN: Es fehlt ihm an Einfühlungsvermögen und Empathie. Seine Bedürfnisse und Gefühle stehen über denen der anderen.

Auch ein wahrer EGOIST erfüllt durchaus Gefallen seiner Mitmenschen, erwartet dafür im Gegenzug jedoch, dass ihm auch geholfen wird – und zwar immer, denn seine Probleme sind die größten und schwierigsten. Dass seine Mitmenschen dies erkennen, verstehen und ihn bei der Bewältigung unterstützen, setzt er als selbstverständlich voraus.


  • Besonderer Einfluss kommt einem EGOISTEN zu, wenn er eine Machtposition innehat. In diesem Fall dominiert er gerne, wird zum Schicksalsgestalter seiner Mitmenschen und vermittelt das Gefühl, von ihm abhängig zu sein.

Ist Selbstaufgabe die Lösung?


Ein Egoist ist also per Volksdefinition jemand, der sich selbst an erste Stelle stellt und das ist gemäß der vorherrschenden Meinung etwas Negatives. Ist die Lösung also, dass jeder zunächst an seine Mitmenschen denkt, sich um deren Wohlergehen kümmert und deren Bedürfnisse befriedigt?


Fallbeispiel: Selena und ihr Weg zur Selbstaufgabe


In einem kleinen Ort namens Verstanden, wo jeder jeden kannte, lebte ein Mädchen namens Selena. Als Selena noch sehr jung war, pflegte sie mit Stolz zu sagen, dass sie viele Freunde habe.


Doch als Selena einmal hohes Fieber hatte und nicht zur Party ihrer besten Freundin gehen konnte, wurde diese Freundin wütend statt Verständnis für Selenas Gesundheitszustand zu zeigen. Sie nannte Selena egoistisch und beschuldigte sie, sich nicht genug bemüht zu haben, für die Party wieder gesund zu sein. Einige Tage später wurde Selena wegen einer Nierenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert. Ihre vermeintlich „beste Freundin“ kam sie nicht besuchen.


Immer wieder bekam Selena in ihrer Kindheit und Jugend in ähnlichen Situationen zu hören, dass sie egoistisch sei und stets nur an sich denke. Solche Erfahrungen prägten Selenas Verständnis von Freundschaft und Egoismus. Sie verschloss sich immer mehr und verdrängte ihre eigenen Bedürfnisse. Sie begann zu glauben, dass es tatsächlich egoistisch und falsch sei, an sich selbst zu denken, und versuchte, immer mehr für andere zu tun und ihre eigenen Bedürfnisse zu ignorieren.


Nein, auch dieses Extrem, bei dem am Ende keine Energie mehr bleibt, um sich um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern, ist nicht die Lösung für ein gesundes Miteinander. Brauchen wir als einzelner Mensch und wir als Gesellschaft also vielleicht ein gesundes Mittelmaß, ein gesundes Maß an Egoismus?


Lassen Sie uns hierzu noch einmal ein kleines Fallbeispiel betrachten:


Fallbeispiel: Emma und ihr Weg zum gesunden Egoismus


Emma war eine erfolgreiche Softwareentwicklerin, aber sie kämpfte ständig mit der Balance zwischen ihren beruflichen Verpflichtungen und ihrem persönlichen Wohl. Emma sagte immer „Ja", egal ob es um Überstunden, zusätzliche Projekte oder die Bedürfnisse ihrer Freunde und Familie ging. Ihre Identität als „die Hilfsbereite" hatte für sie oberste Priorität. Doch dieses Dasein führte dazu, dass sie sich erschöpft und ausgebrannt fühlte.


Als sie eines Tages einen wichtigen Termin verschlafen hatte, realisierte Emma, dass es so nicht weitergehen konnte. Sie suchte Hilfe bei einem Psychologen, der ihr half, ihre Verhaltensmuster zu erkennen und der ihr Werkzeuge an die Hand gab, um gesünder mit ihren eigenen Bedürfnissen und Grenzen umzugehen.


Das erste, was Emma tat, war, ihre Prioritäten zu überdenken. Sie realisierte, dass ihre Karriere zwar wichtig war, aber nicht um jeden Preis. Sie fing an, regelmäßige Pausen einzulegen und sogar Urlaubstage zu nutzen, um ihre Batterien aufzuladen. Im sozialen Bereich begann Emma, „Nein" zu sagen, wenn sie sich überfordert fühlte. Anstatt jedes Wochenende mit Freunden zu verbringen, nahm sie sich Zeit für sich selbst: Sie las, meditierte und unternahm lange Spaziergänge in der Natur.


Die Reaktionen ihres Umfelds waren gemischt. Einige Freunde und Kollegen kritisierten sie für ihre vermeintliche „Selbstsucht". Aber Emma fand auch Unterstützung, vor allem von Menschen, die ihr Wohl respektierten und verstanden, dass sie nicht ständig geben konnte, ohne auch etwas für sich selbst zu tun.


Mit der Zeit lernte Emma, dass gesunder Egoismus nicht nur ihr eigenes Leben verbesserte, sondern auch die Qualität ihrer Beziehungen. Menschen, die sie wirklich schätzten, respektierten ihre Entscheidungen und fühlten sich durch ihre Authentizität sogar mehr mit ihr verbunden


Was ist also „Gesunder Egoismus“?


Ein „gesunder“ Egoist ist ein Mensch, der seine eigene Zeit und die der anderen Menschen respektiert, jemand, der sich um seine eigenen Bedürfnisse kümmert, ohne dabei die anderer zu missachten.

Ein gesunder Egoist beschäftigt sich mit seinem eigenen Glück. Er passt gut auf sich selbst auf. Er ist ein Mensch, der sich gerne um seinen Körper, aber auch um seine Psyche kümmert – er ernährt sich gut, bewegt sich regelmäßig, pflegt einen gesunden Lebensstil, geht regelmäßig aus, verfolgt ein Hobby und pflegt Freundschaften.


Ein gesunder Egoist weiß, dass er nur für andere sorgen kann – in welcher Form auch immer – wenn er zuerst gut für sich selbst gesorgt hat! Er weiß, wann er „ja“ und wann er aber auch „nein“ sagen muss.

Ein gesunder Egoist liebt sich selbst. Genauso liebt er aber auch andere und verbringt gerne Zeit mit Menschen, die ihm ebenfalls Bedeutung beimessen, denn er kennt seinen Wert und ist sich seiner selbst und seiner Interessen bewusst.


Ein gesunder Egoist kennt seine eigenen Grenzen, respektiert aber auch die der Anderen. Stellt er fest, dass er die Grenzen einer anderen Person überschritten hat, entschuldigt er sich und korrigiert sein Verhalten umgehend.

In dem Zusammenspiel mit anderen Menschen ist es für einen gesunden Egoisten wichtig, dass auch die Menschen in seinem Umfeld gesunde Egoisten sind, denn nur dann sind beide Seiten zufrieden und glücklich.


Gesunde Egoisten mögen es nicht, sich zu rechtfertigen, kontrolliert zu werden oder wenn sich jemand in ihre Entscheidungen einmischt. Diesem Naturell folgend, gibt ein gesunder Egoist nie ungefragt einen Ratschlag. Wird er jedoch darum gebeten, gibt er seine Erfahrungen und Einschätzungen gerne weiter.

Bittet er selbst um Rat, hört der gesunde Egoist gerne und aufmerksam zu und nimmt niemandem einen ehrlichen Rat übel – ob er diesen anschließend befolgt, entscheidet er nur im Hinblick auf sein eigenes Wohl.


Der Fokus auf das eigene Wohlergehen mag möglicherweise auch dazu führen, dass ein gesunder Egoist eine bereits vereinbarte Unterstützung kurzfriDeshalb sollte auch Kindern bereits ein Bewusstsein hierfür mit auf den Weg gegeben werden. Ist es völlig okay, dass Eltern am Anfang neben ihren eigenen Bedürfnissen auch die ihrer Kinder im Blick behalten und befriedigen müssen, so sollten die Kinder im Heranwachsen lernen selbst für ihre Bedürfnisse einzustehen, um ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft und der Eltern-Kind-Beziehung zu werden und Beziehungen zu führen, die auf Gegenseitigkeit und Unterstützung beruhen. stig absagt, weil er sich nicht gut fühlt. Das gleiche Recht spricht er seinem Gegenüber aber auch jederzeit zu. Manipulation oder die Ausübung von Dominanz oder Druck sind dem gesunden Egoisten völlig fremd.


Gesunde Egoisten sind sehr offene, ehrliche und gradlinige Menschen, bei denen man stets weiß, woran man ist – was jede Art von Beziehung vereinfacht. Gesunder Egoismus ist also für das eigene Wohl und die Qualität aller zwischenmenschlichen Beziehungen wichtig.



Warum ist gesunder Egoismus wichtig?

1. Selbstschutz und Grenzen

Indem man sich seiner eigenen Bedürfnisse bewusst ist und Grenzen setzt, schützt man sich vor Ausbeutung und Burnout. Das ist besonders wichtig in beruflichen Kontexten, wo die Forderungen oft hoch und die Ressourcen begrenzt sind.


2. Beziehungsqualität

Gesunder Egoismus kann die Qualität unserer Beziehungen verbessern. Wenn man sich selbst respektiert und seine Bedürfnisse ernst nimmt, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass man das gleiche von anderen erwartet und erhält. Auf diese Weise entsteht eine gleichberechtigte Dynamik zwischen den Beteiligten.


3. Authentizität

Nur wenn wir unsere eigenen Bedürfnisse und Wünsche respektieren, können wir authentisch sein. Authentizität ist wichtig für Selbstachtung und Selbstwertgefühl, und sie ermöglicht es uns, echte Verbindungen zu anderen Menschen herzustellen




Fazit

Der gesunde Egoismus ist also ein Mittelweg zwischen selbstbezogener Ignoranz und selbstlosem Aufopfern. Es handelt sich um eine Form der Selbstfürsorge, bei der individuelle Bedürfnisse und Wünsche erkannt und ernst genommen werden, ohne andere Menschen zu benachteiligen.


Der gesunde Egoismus lässt Raum für persönliche Entfaltung und Respekt gegenüber anderen und fördert ein Gleichgewicht zwischen Selbst- und Fremdinteressen. Gesunder Egoismus ist also kein Widerspruch in sich, sondern eine lebensnotwendige Fähigkeit, die es uns ermöglicht, ein ausgeglichenes und erfülltes Leben zu führen


In unserer Gesellschaft ist es entscheidend, dass wir verstehen, dass Selbstfürsorge nicht gleichzusetzen ist mit Selbstsucht. In Wahrheit ermöglicht uns Selbstfürsorge, anderen besser zu dienen.


Als Gesellschaft sollten wir alle danach streben, ein gesunder Egoist zu sein. Das Konzept des gesunden Egoismus lädt uns ein, unser eigenes Wohl als einen integralen Bestandteil des Wohls der Gemeinschaft zu betrachten, in der wir leben.


Denn wenn es mir gut geht, kann ich meinen Mitmenschen helfen, wenn sie in Schwierigkeiten sind, sodass es am Ende allen gut geht. Ein gesunder Egoist kann anderen in Zeiten der Not beistehen, weil er sich selbst gut versorgt hat.


Ein ausgebrannter, überarbeiteter und erschöpfter Mensch kann dies nicht. Mit mehr gesundem Egoismus können wir uns als Gesellschaft viel besser verstehen, zusammenwachsen und gesunde Beziehungen eingehen – egal ob als Kollegen, Freunde oder Liebende.


Die Botschaft ist klar: Seien Sie ein gesunder Egoist. Kümmern Sie sich um sich selbst, damit Sie auch für andere da sein können. Ihr Wohlbefinden ist genauso wichtig wie das Wohlbefinden der Menschen in Ihrem Umfeld.


Beginnen Sie also bei sich selbst, fragen Sie sich heute, was Sie brauchen, was Sie sich selbst geben können. Vielleicht ist es nur eine Stunde, nur für Sie.

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